Monday, January 9, 2012

Berlin nach Bamberg, 14. Juli 2011



[English translation follows below]

Ich fühlte mich schlechter als erwartet nach 5 Biere und 5 Stunden Schlaf. Vielleicht war das kanadische Pizza daran schuld. Das Wasser mit Kohlensäure war mir übel. Die Karbonisation brachte nicht das gewöhnliche Gefühl der Erleichterung. Nur Caspars afrikanische Disko half. Ich könnte gar nicht essen. Der Birnesaft war aber gut.
Ich war sehr überrascht, dass ich pünktlich am Nikolassee angekommen war. Ich kaufte ein Ciabatta-Brötchen, obwohl das Essen noch völlig undenkbar war. Herr Kajawski und die zwei Mitfahrer waren da. Wir stiegen in das alte Mercedes hinein und ging los.
Endlich: Erleichterung, wie es mit jeder Abfahrt gibt. Besonders mit Zug oder Bus, ein unsinniges Glück, nur weil man sich in eine geplante Richtung bewegt. Es ist ja gerade in diesem Augenblick, dass man sich glaubt, ein “Mann der Welt” zu sein. Dieses Behagen mit dem endlichen Abfahrt dauert aber immer nur kurz.
So dachte ich, als wir die A9 entlang, weg von Berlin fuhren. Und natürlich, ging es mir bald wieder übel. Das Gefühl der erleichternden Bewegung war wegen der im Wagen wachsenden Hitze durchaus ausgelöscht. Ich trank kleine Schlückchen Wasser, und schaute auf den unbeweglichen Horizont. Meine Lust auf Bewegung war mit einer Lust auf Unbeweglichkeit ersetzt.
Mein Körper war heiß. Ich saß neben mir. Ich versuchte, nichts zu denken, aber fehlte. Ich schloss die Augen. Eine ganze Reihe von Bilder kam mir vor meinem inneren Auge vor, ohne dass ein einziges Bild mir gefiel. Ich versuchte, etwas Musik anzuhörzen, aber war ebenso enttäuscht. So wie die inneren Bilder, passte eine Reihe von Lieder, ohne dass ein einziges Lied mir gefiel. Das einzige Vergnügen, das ich da im heißen Auto kriegte, war von einem Lied dem nächsten Lied zu springen. Anstatt an etwas Vergnügen zu finden, war es für mich nur möglich, eine Möglichkeit des Vergnügens zu entdecken, und gerade an dieser Entdeckung eine Art Vergnügen zu finden, noch wenn das ursprüngliche Vergnügen nie verwirklicht wurde. Wenn man neben sich steht, wie ich auf diesem Morgen, versteht man nicht das Vergnügen, sondern nur die Möglichkeit des Vergnügens. Plötzlich sagte der Kajawski, dass wir 200 km gefahren seien, welche die Hälfte der Reise sein soll. Ich antwortete rasch, dass ich das Fenster aufmachen wollte.
Der frische Luft tat mir endlich gut. Die Landschaft war bayrisch geworden, und das heisst, dass es hübsche, grüne Hügeln gab, welche sehr erfrischend nach brandenburgischer Flachheit waren. Ich hatte dann ein plötzliches Gefühl der Südlichkeit, das für mich eine Erleichterung war, obwohl es noch heiß im Wagen war. Ich atmete tief, aber sehnte noch nach Stillsein. Ich aß ein Hüstenbonbon, das Caspar mir früher gegeben hat, und schaute wieder auf den wellenförmigen Horizont.
Als die Kräuter des Bonbons zu wirken begann, und als ich danach endlich ein bisschen Hunger kriegte, kamen wir plötzlich zum absoluten Halt. Wegen eines Unfalls gab es unbeweglichen Stau. Die andere machten ihre Fenster auf, und ein kühles Lüftchen strömte durch den Wagen. Ich fühlte mich endlich in Ordnung, und aß mein Ciabatta-Brötchen mit erneute Energie. Mein Verlangen nach Stillsein und Kühlsein, welche mich für 2 Stunden ununterbrochen gequält hat, war endlich befriedigt. Mit den offenen Fenstern fühlt es sich wie ein Picknick.
Um den Stau zu vermeiden, stiegen wir am nächster Ausfahrt aus, und fuhren durch kleine bayrische Landstraßen. Es kamen mir im Kopf wunderschönen Gedanken. […] Alles, was ich dachte, gefiel mir, noch wenn es später als Unsinn vorkamen. Ich wurde glücklich. Glücklich werden heisst Unsinn wieder Bedeutungsvoll zu finden.
Glücklich sein heisst unsinnig sein. Wenn es einem übel geht, kommt einem alles als Unsinn vor. Unglücklich sein heisst nüchtern sein. Wenn man wieder unsinnig wird, kommt einem alles wieder als sinnvoll vor.
Man entkommt diese Nüchternheit nicht nur mit Alkohol, sondern auch mit Kultur, und das heisst auch mit der Vernunft. Die Vernunft setzt man wieder in die Welt des Unsinns ein. Philosophie war nie ein Versuch, nüchtern zu werden, sondern das Versuch, den Unsinn gesetzlich zu ordnen. Die Philosophie hat den Unsinn zum Gesetz erhoben. Sie hat das mit der Sprache gemacht.
Glücklich werden—und das heisst die Nüchternheit zu entkommen—heisst in die Sprache wieder einzutreten. So trat ich auf den bayrischen Landstraßen wieder in die Sprache ein. In der Sprache kommt der Unsinn als sinnvoll vor. Nüchtern werden heisst aus der Sprache hinaus zu treten, und dann wird es einem übel.
Nur in der Sprache geht es einem besser. Wir stürzen in die Sprache hinein, aus der Nüchternheit hinaus, und alles kommt es wieder sinnvoll vor. Nur im Betrug entkommen wir den Unsinn.

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I felt worse than expected after five beers and five hours of sleep. Maybe it was the fault of the Canadian pizza. The mineral water did me no good. The carbonization didn’t bring the normal feeling of relief. Only Caspar’s African disco helped. I couldn’t eat at all. The pear juice, however, was good.
I was extremely surprised that I arrived at Nikolassee on time. I bought a ciabatta roll, even though eating was still out of the question. Herr Kajawski and the other two passengers were there. We stepped into the old Mercedes and took off.
Finally: relief, as accompanies any departure. Especially by bus or train, a nonsensical happiness, just because one is moving in a planned direction. It’s exactly at this moment that one believes oneself to be a real “man of the world.” Yet this satisfaction that one feels when finally departing always lasts only a short time.
These were my thoughts as we headed along the A9, away from Berlin. And of course, I soon started to feel bad again. The feeling of alleviating movement was fully extinguished due to the rising heat in the car. I drank small sips of water, and looked at the unmoving horizon. My joy at movement was replaced by a longing for stillness.
My body was hot. I sat next to myself. I tried to think nothing, but failed. I closed my eyes. A whole series of images flashed before my inner eye, without a single image appealing to me. I tried to listen to some music, but was similarly let down. Like the inner images, a whole series of songs passed by without a single song appealing to me. The only pleasure that I had in the car was skipping from one song to the next. Instead of finding pleasure in something, it was only possible for me to uncover a possibility of pleasure, and thus to find pleasure with this uncovering, even when the originally anticipated pleasure is never realized. When one stands next to oneself, like me on this morning, one doesn’t understand pleasure, rather one understands only the possibility of pleasure. Suddenly, Herr Kajawski tells us that we’ve gone 200 kilometers, which is half of the distance of our journey. I answered abruptly that I wanted to open the window.
The fresh air finally did me good. The landscape had become Bavarian, and that means that there were pretty, green hills, which were very refreshing after the flatness of Brandenburg. I had then a sudden feeling of southernness, which was a relief for me, even though it was still hot inside the car. I breathed deeply, but I yearned for stillness. I ate a cough drop, which Caspar had given me, and looked again at the undulating horizon.
As the herbs of the cough drop began to work, and as I finally got a bit hungry, we came suddenly to a total stop. Due to an accident there was unmoving traffic. The others opened their windows, and a cool breeze streamed through the car. I finally felt alright, and I ate my ciabatta roll with renewed energy. My desires for stillness and coolness, which had tormented me uninterruptedly for two hours, were finally satisfied. With the windows open it felt like a picnic.
In order to avoid the traffic, we took the next exit, and continued along small Bavarian country roads. Wondrous thoughts came to me in my head. […] Everything that I thought appealed to me, even when it later appeared to me as complete nonsense. I became happy. Becoming happy means once again finding nonsense meaningful.
Being happy means being nonsensical. When one feels unwell, nothing seems to make sense. To be unhappy means to be sober. When one becomes nonsensical, everything seems to make sense again.
One escapes this sobriety not only with alcohol, but also with culture, and that means with reason. Reason sets one once again into the world of nonsense. Philosophy was never the attempt to become sober, but rather the attempt to statutorily organize nonsense. Philosophy elevated nonsense to the level of law. It did this using language.
Becoming happy—and that means escaping sobriety—means entering once more into language. In this way I entered once more into language on small Bavarian country roads. In language nonsense appears sensical. Becoming sober means stepping outside of language, and then one feels unwell.
Only in language does one feel better. We plummet into language, out of sobriety, and everything seems to make sense again. Only in delusion do we escape nonsense.

2 comments:

  1. The simplicity and directness of writing in a foreign language.

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